Frauen bewegen die Landwirtschaft
Zwischen Pflicht und Berufung, zwischen Tradition und Moderne

In den vergangenen 100 Jahren hat sich nicht nur die Land- und Forstwirtschaft grundlegend weiterentwickelt, auch das Berufsbild und der Arbeitsalltag der Bäuerin wandelten sich stark.
Anfang des 20. Jahrhunderts ähnelten die landwirtschaftlichen Produktionsverfahren und Erträge noch jenen des Mittelalters. Die meisten Tätigkeiten wurden mit der Hand verrichtet und ein Großteil der Erwerbstätigen arbeitete im Agrarsektor, um die Bevölkerung ausreichend mit Nahrung versorgen zu können. Zu dieser Zeit waren die Aufgaben traditionell nach Geschlecht und Stellung, also zwischen Bäuerin und Bauer bzw. zwischen Magd und Knecht, aufgeteilt. Innenarbeit, zu der aber auch die Stallarbeit zählte, galt als weibliche Aufgabe. Dies beinhaltete Hausarbeit, Kindererziehung, Altenpflege, Versorgung der Tiere und die Verarbeitung der tierischen und pflanzlichen Produkte. Zusätzlich halfen die Frauen zu Arbeitsspitzen, wie zum Beispiel in der Erntezeit, draußen am Feld mit. Trotz der vielen Arbeit war die Rolle der Bäuerin in der Gesellschaft angesehen. Viele Bäuerinnen waren traditionellerweise Mitbesitzerinnen des Bauernhofes und hatten je nach Größe des Hofes zudem die Mägde unter ihrer Verantwortung. Fachausbildungen blieben den Frauen allerdings meist verwehrt.
Die klassisch vorgelebte Rollenteilung wurde während des Zweiten Weltkrieges gebrochen. Der kriegsbedingte Männermangel führte dazu, dass Frauen in der Landwirtschaft typische Männertätigkeiten übernahmen und die Betriebe führten.
Nach Kriegsende gab es aufgrund der vielen Kriegsopfer weiterhin einen Mangel an Arbeitskräften. Aufgrund der rasant voranschreitenden Industrialisierung und der guten Bezahlung in den Fabriken wechselten zudem viele Mägde und Knechte in neue Berufe. Die Bauernfamilien mussten nun sämtliche Arbeitsaufgaben alleine bewältigen. Das Aufgabenfeld der Bäuerin erweiterte sich und sie wurde als flexible Arbeitskraft in sämtlichen Bereichen eingesetzt. Schwere körperliche Arbeit, wenig Freizeit, kein eigener Lohn und die finanzielle Abhängigkeit vom Mann prägten in dieser Zeit das gesellschaftliche Berufsbild der Bäuerin.Die 1970er Jahre waren von weiteren Veränderungen geprägt: Das vergrößerte Bildungsangebot, die Entstehung und das Engagement von Interessensgemeinschaften, wie der Bäuerinnenorganisation und der dadurch erhöhte Austausch unter Kolleginnen stärkte das Selbstbewusstsein der Landfrauen. In den 1980er Jahren konnten durch die Arbeitsgemeinschaft der Bäuerinnen wichtige gesetzliche soziale Absicherungen für die Berufsgruppe der Bäuerinnen erreicht werden, wie die Einführung der Bäuerinnenpension oder das Karenzgeld für Bäuerinnen.

Die Bäuerin von heute sieht sich zugleich als traditionsbewusste Frau und moderne Unternehmerin, offen für Veränderungen und stark an Aus- und Weiterbildungen interessiert. Oftmals bringen Frauen Wissen und Erfahrungen von anderen Ausbildungen und Berufen mit, bauen eigene innovative Betriebszweige auf und beeinflussen damit die Entwicklung der Höfe wesentlich. Bäuerinnen von heute ist der Dialog mit dem Konsumenten und die Sensibilisierung der Bevölkerung für faire Voraussetzungen im Hinblick auf eine nachhaltige Landwirtschaft ein großes Anliegen. Die österreichischen Betriebe werden heute in der Überzahl partnerschaftlich geführt. Dieser Trend einer partnerschaftlichen Führung bedeutet allerdings nicht, dass es bislang zu einer politischen Gleichstellung der Frauen kam. In der Politik, vor allem auf Gemeindeebene, sowie auch in der Agrarpolitik dominieren nach wie vor die Männer. Initiativen wie das Funktionärinnenbildungsprogramm „ZAMm“ und die Charta für partnerschaftliche Interessensvertretung erleichtern Frauen den Weg in die Politik.
Die Landwirtschaft und die Aufgaben der Bäuerin werden sich auch in Zukunft stetig verändern. Neben den aktuellen landwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen wie Klimaveränderung, Tierwohl, regionale Lebensmittelversorgung und Bodenversiegelung, sind für die Bäuerinnen auch die allgemeinen Bedürfnissen der Frauen am Land von großer Bedeutung. Unterstützung in der Kinderbetreuung sowie in der Pflege von Angehörigen oder die Alltagsdigitalisierung sind zukunftsweisende Fragestellungen.